Täglich sprechen wir von der vierten Industriellen Revolution. Dabei meinen wir im Besonderen die produzierenden, industriellen Betriebe, die sich mehr und mehr vernetzen, ihre Abläufe automatisieren und mit Robotik und IoT noch effizienter werden. Nur ein Thema für die Grossindustrie? Nein! Auch Unternehmen im gewerblichen Umfeld sind von diesem Wandel betroffen. Kunden wie Lieferanten verändern Ihre Ansprüche und Möglichkeiten. Konkurrenz entsteht immer häufiger ausserhalb des angestammten Marktes. Technik macht neue Lösungen möglich.

Die Dynamik, in der sich unser Alltag durch digitale Entwicklungen verändert, ist hoch. Auch im Gewerbe und im Detailhandel verändern sich die Kundenbedürfnisse und das Kaufverhalten laufend. Noch schnell online die Lieferung eines Blumenstrausses für die Schwiegermutter erfassen, beim Pizzakurier das Nachtessen bestellen und die Tickets für den Kinoabend am Samstag reservieren – das alles in weniger als fünf Minuten, von irgendwo und mit irgendeinem vernetzten Gerät. Oder am Sonntagmorgen zu Hause vor dem Bildschirm den passgenauen Schrank für das schräge Dachzimmer planen und die längst fällige Gefriertruhe inkl. Lieferung, Montage und Entsorgung des alten Gerätes organisieren. Typische Handlungen von digitalen Kunden. Gewerbe und Detailhandel müssen sich dem Kaufverhalten anpassen und auf die neuen Bedürfnisse eingehen. Der Kunde von heute will zu jeder Zeit auf das Produkt zugreifen – Tag und Nacht. Er will es auf seine Bedürfnisse und nach seinem Gusto zugeschnitten, er will es sofort und zum tiefsten Preis. Der Aufwand für die gesamte Transaktion von der Bestellung bis zur Bezahlung muss minimal sein.

Dieses heute alltägliche Kundenverhalten bringt auch für kleine Unternehmen weitreichende Veränderungen mit sich. Wer diesen Ansprüchen nicht gerecht wird, läuft Gefahr vom Markt verdrängt zu werden. Als bestes Beispiel dafür dient die Musik- und Printindustrie. Wer will heute noch einen CD-Shop eröffnen oder sein Geld mit dem Druck von Telefonbüchern verdienen? Dabei ist es noch nicht lange her, dass solche Geschäfte profitabel betrieben werden konnten.

Transparenz

Das Internet macht es möglich, dass wir zu allem und jedem Informationen finden. Sei dies in Form von Fakten, Werbung, Vergleichen und Bewertungen, für Dinge, Orte, Produkte, Anlässe, Organisationen, Dienstleistungen, Menschen und Tiere. Diese Daten haben im kommerziellen Bereich eine weitgehende Vergleichbarkeit ermöglicht. Wenn Sie sich auf ein Hotel- oder Fluganbieterportal begeben, werden Preise und Leistungen einander offen gegenübergestellt. Wer hier sein Produkt nicht auf diese Vergleiche zuschneidet – indem etwa Dienstleistungen nicht erwähnt werden, die das Angebot verteuern – wird das Nachsehen haben. Bietet z.B. ein Elektrogeschäft Kühlschränke mit überhöhter Marge an, kann er fast sicher sein, dass sich seine Kunden über ein Preisportal bereits über den tiefsten Marktpreis informiert haben.

Kernfähigkeiten

Solche Beispiele führen zur Frage nach den Kernfähigkeiten eines Unternehmens. Welchen Mehrwert bieten Sie Ihren Kunden? Beim Beispiel des Kühlschrankes könnte dies vielleicht der fachmännische Einbau sein. Für solche Leistungen ist der Kunde in der Regel bereit, einen vernünftigen Preis zu bezahlen. Nicht aber für den Aufpreis beim Gerät. Jedes noch so kleine Unternehmen kann etwas besonders gut. Meist ist es mehr, als was es auf seiner Homepage auslobt.

Ein Unternehmen muss sich dieser Fähigkeiten bewusst werden:

  • Können Sie sich speziell gut in die Kunden einfühlen, eine gute Stimmung schaffen und deren Bedürfnisse verstehen?
  • Befinden Sie sich in der Nähe des Kunden und sind rasch für ihn zur Stelle?
  • Verfügen Sie über Spezialwissen?
  • Sind Sie top vernetzt und können Gesamtlösungen aus einer Hand anbieten?
  • Ist die Auftragsabwicklung mit Ihnen einfach und unkompliziert?

Was immer Sie auszeichnet; diese Fähigkeiten zu kennen, hilft Ihnen als Unternehmen Ihren Kunden einen echten Mehrwert zu bieten.

Je mehr Produkte und Dienstleistungen digitalisiert werden, umso entscheidender werden diese Faktoren.

Arbeiten lassen sich überall auf der Welt verrichten. Digitale Daten können ohne Aufwand in wenigen Augenblicken und gratis rund um den ganzen Globus geschickt werden. Meistens dahin, wo die Kosten tief sind. Viele Unternehmen haben dies bereits umgesetzt und ihre Administration aus der Schweiz in Billiglohnländer verlegt. IT-Dienstleistungen und Software erhält man in Indien und Teile aller Art in China und anderen asiatischen Staaten. Um dem entgegen zu wirken, müssen Sie ihre einzigartigen Fähigkeiten bewusst einsetzen.

Digitalisierung als Chance

Die Digitalisierung bietet Chancen! Und das nicht erst in ferner Zukunft, sondern heute. Die neuen Technologien bergen grosses Potenzial für die Optimierung von internen Abläufen und Nahtstellen über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus. Zudem bergen sie Potenziale für neue innovative Produkte und Dienstleistungen.

Auf was ist zu achten? Digitalisieren Sie Ihre Produkte und Prozesse immer im Hinblick auf den Kundennutzen. Digitale Prozesse helfen die Zusammenarbeit im Betrieb und mit Kunden, Partnern und Lieferanten zu verbessern. Die berühmten Medienbrüche – wo man eine Excel-Tabelle in ein ERP übertragen muss – sind zu eliminieren. Sie sind unproduktiv und Quellen für Fehler. Systemschnittstellen sollten automatisiert werden, vom (elektronischen) Bestelleingang bis zur Rechnungsstellung, ohne zusätzliche administrative Handarbeit.

Ein digitaler Zwilling eines physischen Produkts mit allen Informationen vereinfacht ihre gesamten Prozesse und hilft Fehler zu vermeiden. Beispielsweise lassen konsistente CAD (Computer Aided Design) Modelle bereits weitreichende Simulationen zu. Informationen zu Bauteilen, Bearbeitung, Montage, Bedienung und Service sind stets aktuell und zugänglich. Dieser „Digital-Twin“ eröffnet Ihnen neue Möglichkeiten von der Beschaffung bis hin zum Vertrieb.

Die Absatzkanäle haben sich verschoben. Früher bot ein Händler ein Produkt zum Kauf an. Heute gelangt man über das Produkt zum Händler. Oder wie haben Sie beim letzten Mal ein Tablet gekauft? Erste Informationsbeschaffung im Internet, vergleichen, einen Anbieter suchen, bestellen und anliefern lassen. Das bedeutet, dass die Präsenz im Internet und damit die Interaktion mit dem Kunden an Bedeutung gewinnt. Das heisst aber auch, dass man nicht mehr über teure Lokalitäten an bester Lage verfügen muss, um frequentiert zu werden. Auch Nischenprodukte können einfach global angeboten werden. Die Herausforderung besteht nun darin, diese neuen Kanäle professionell zu bedienen. Sei dies werbetechnisch oder logistisch. Das alles ist heute Stand der Technik, aber bei Weitem noch nicht überall konsequent umgesetzt. Buchhaltungen, Personalsuche, Versicherungsabrechnungen funktionieren dank künstlicher Intelligenz bereits heute hoch automatisiert, selbst bei kleinen Firmen.

Aufbruchstimmung in der Baubranche

Ein stark gewerblich geprägter Zweig, der vor einer grossen Digitalisierungswelle steht, ist die Baubranche. BIM (Building Information Modeling) ist hier das Zauberwort. Naturgemäss ist das Baugewerbe handwerklich geprägt. Digitale Lösungen haben sich zuerst in der Holzindustrie etabliert. Dachstühle und Fertighäuser werden seit längerem mit CAD geplant und mit Hilfe von CNC (Computerized Numerical Control) gefertigt. Mit BIM hält nun auch in den anderen Bereichen die Idee des digitalen Zwillings für Gebäude Einzug. Die voll integrierten Gebäudedaten entstehen bei der Planung und begleiten das Gebäude von der Erstellung über den Betrieb, eventuellen Umnutzungen bis hin zum Rückbau. Man rechnet dabei mit Kostenersparnissen von bis zu 20% über die gesamte Lebenszeit eines Gebäudes. Dies belegen Zahlen aus Grossbritannien. Die BIM Technologie steckt in der Schweiz noch in den Anfängen. Es sind erst vereinzelte Gebäude mit BIM-Umsetzung am Entstehen. BIM eröffnet allen Beteiligten der Baubranche völlig neue Perspektiven. Unternehmen die sich in der Planungsphase einbinden können, haben grössere Chancen auch bei der Realisierung beteiligt zu sein. Zum Beispiel der Küchenbauer, der die Küche bereits im virtuellen Modell abbilden kann, hat beste Chancen diese auch in der Realität liefern zu können.

Sie sehen: Die Digitalisierung hält jetzt Einzug! Sie ist keine ferne Vision, welche von Grossunternehmen kreiert wurde und die Kleinen auf die hinteren Plätze verweist. Sie bewirkt einen sehr raschen Wandel, den man sich als Unternehmen zunutze machen sollte. Dabei hat es wenig Sinn, eine allumfassende Digitalisierungs-Strategie zu entwickeln und auf den geeigneten Zeitpunkt zu warten, diese umzusetzen. Es ist vielmehr so, dass Sie mit kleinen, pragmatischen Schritten am ehesten im Thema Fuss fassen können. Die Lösungen kommen nicht erst in den nächsten Jahren, sie sind bereits heute Realität und bieten auch für kleine Firmen grosse Möglichkeiten

 

Der Autor

Bernhard Isenschmid
ist Technologie- und Innovationsexperte am Hightech Zentrum Aargau in Brugg mit Schwerpunkt Industrie 4.0 und Digitalisierung.