Digitalisierung: Wie beschafft man eine ECM/DMS-Lösung?

Die Digitalisierung beginnt bei der elektronischen Datenhaltung. Neben ERP-Systemen bilden ECM/DMS Lösungen darum einen wichtigen und entscheidenden Baustein für den Erfolg.

Oftmals werden aber ECM/DMS Produkte wie «normale» Software beschafft, ohne zu verstehen, dass deren Einführung weitreichende Konsequenzen hat. Dieser Artikel beschreibt das richtige Vorgehen bei der Beschaffung und die Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Einführung.

Die Digitalisierung fordert den Wechsel vom analogen zum digitalen Primat. Was verstehen wir darunter? Es geht darum, dass die Datenhaltung optimiert wird und die analogen Träger möglichst eliminiert werden, bzw. analoge Daten in digitale Daten überführt werden. Gleichzeitig will man damit ermöglichen, dass die Datenhaltung kontrolliert wird und vor allem die Unmengen von überflüssigen Daten über die Zeit verschwinden. Heute geht man davon aus, dass rund 70 % aller gespeicherten Daten einer Organisation veraltet sind oder aus anderen Gründen nicht mehr gespeichert werden müssten. Dies bedeutet ein riesiges Einsparungspotenzial, welches heute kaum genutzt wird. Die Fähigkeit, Informationen zu beherrschen, wird Information Governance genannt.

ECM/DMS Lösungen bilden einen wichtigen Baustein für die Transformation papiergebundener Prozesse in die digitale Welt.

©KRM, Zürich 2018

 

Organisationen sind wie Elefanten

Sie sind lebende Organismen, die Daten als Grundstoff benötigen. Doch im Gegensatz zum Elefanten haben Sie die unangenehme Angewohnheit, dass sie Daten ungefiltert aufnehmen und diese auch nicht vernichten. Das ist ein primäres Ziel der Beschaffung eines ECM/DMS Systems: Es ermöglicht die Kontrolle der Daten Lebenszyklen und damit auch deren Nutzung für digitalisierte Geschäftsprozesse oder zur Erfüllung rechtlicher Anforderungen. Das beste Beispiel dazu ist die Datenschutz Grundverordnung (DS-GVO), die eine umfassende Kontrolle über Personendaten fordert. Dies ist ohne zusätzliche Technologie nicht machbar.

Was kann eine ECM/DMS Lösung?

ECM/DMS Lösungen führen zusammen, was zusammengehört. Sie dienen als zentraler Hub für die Datenverwaltung und sind entsprechend mächtig. Das bedeutet, dass man bei der Beschaffung und Einführung solcher Systeme sehr grosse Sorgfalt an den Tag legen muss. Es geht hier nicht um die Beschaffung einer simplen Software, sondern um die gleichzeitige Umstellung des Unternehmens in Richtung digitales Primat! Damit ist auch schon gesagt, dass im Rahmen der Evaluation die Vorarbeiten eine wichtige Rolle spielen. Gleichzeitig wird damit auch klar, dass bei der Umsetzung insbesondere die kommunikativen Faktoren entscheidend sind. Ohne umfassende Vorausplanung und ohne eine gute Einführung sind solche Lösung zum Scheitern verurteilt.

Darf ich überhaupt?

Die Schweiz kann von der komfortablen Situation profitieren, dass praktisch alle Daten elektronisch gehalten werden dürfen. Gesetzliche Ausnahmen gibt es nur ganz wenige, hingegen gibt es in den Organisationen noch immer viele Bedenkenträger „die Daten lieber noch auf Papier hätten“, was rechtlich gesehen, mit Verlaub, Blödsinn ist.

Allerdings sind die Anforderungen an die elektronischen Archive im Vergleich zum Ausland sehr hoch. Die Geschäftsbücherverordnung kennt klare Kriterien, wann ein Archiv gesetzeskonform ist. So reicht z.B. das langfristige Speichern der Daten in einem ERP nicht zur Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften, gefordert ist ein selbsttragendes Archiv, welches auch dann noch funktioniert, wenn das Liefersystem schon längst nicht mehr verfügbar ist. Vergessen Sie den Begriff revisionssicher! Er existiert im Schweizer Recht nicht und ist eine Kreation der ECM /DMS Industrie. Da die Verunsicherung im Markt gross ist, prüft das KRM seit 2017 Produkte auf ihre GeBüV Konformität und stellt ein Zertifikat aus, welches auf unserer Website publiziert ist.

Anbieterszene und Auswahlkriterien

Die Anbieterszene ist riesig. Im Gegensatz zu anderen Produkten, ist der ECM/DMS Markt sehr fragmentiert und zeichnet sich durch eine Vielzahl unterschiedlichster Anbieter aus (ca. 200). Viele dieser Anbieter stammen aus dem mittelständischen Umfeld und spezialisieren sich auf bestimmte Lösungen. Der Kunde hat folglich die Qual der Wahl. Sie können davon ausgehen, dass bei einer professionellen Evaluation mindestens zehn Anbieter auf der Longlist landen werden. Aus dieser gilt es dann, die drei geeignetsten Kandidaten auszuwählen und einzuladen.

Wieso die Technologie sekundär ist

Wie zu Beginn erwähnt, trägt das Produkt einen wichtigen, jedoch nicht den wichtigsten Teil für den Erfolg des Projekts bei. Der beste Produktanbieter kam die Informationslandschaft des Kunden nicht kennen und er kann in der Regel nur schwer beurteilen, ob der Kunde seine Informationslandschaft ausreichend beschrieben hat. Ähnliches gilt für den Umgang mit Daten und dem Willen der Beteiligten, sich auf das digitale Primat einzulassen. Unsere Erfahrung zeigt, dass zum Thema Informationsmanagement jede Organisation eine ihr eigene Ausgangssituation hat. Dies bedeutet, dass vor der eigentlichen Produktevaluation vier Bausteine vorhanden sein müssen:

  1. Informationsarchitektur: Sie beschreibt die aktuelle und zukünftige Datenhaltung und dient als Grundlage für die Etappierung des Projekts, also den Umbau des Unternehmens über die nächsten 18 - 24 Monate. Dazu braucht es eine vertiefte Analyse der existierenden Daten sowie der zu bearbeiteten Prozesse, die für die Anwender verständlich ist.
  2. Einsatzmodus: Geht es primär um eine Archivlösung oder mehr um die Kollaborationsfähigkeit? Auch wenn viele Anbieter beides versprechen, kann man die meisten Produkte eher der einen oder der anderen Kategorie zusprechen.
  3. Taxonomie: Die Taxonomie beschreibt die Daten der Organisation. Hier geht es nicht um die Erfassung einzelner Informationsobjekte, sondern um die Einteilung der Unternehmensinformation nach funktionsbezogenen Kriterien. Dies ist deshalb zwingend, weil bei der Erfassung alle Daten eine Zuordnung zu Metadaten (ist das eine Bestellung, eine Rechnung, eine Reklamation?) erfolgen sollte. Wer nun glaubt, man könne sich dies im Zeitalter intelligenter Suchmaschinen sparen, dem muss man leider mitteilen, dass auch mit Indexierungsmaschinen eine vollautomatische Indexierung in den nächsten 5 - 10 Jahren nicht denkbar ist. Moderne ECM/DMS Systems können Sie jedoch aktiv dabei unterstützen, indem sie Metadaten direkt extrahieren (z.B. aus Mail-Metadaten).
  4. Drittens muss die Kultur passen, bzw. die Mitarbeiter müssen auf die Umstellungen vorbereitet werden (Change-Management und Kommunikation).

Von der Longlist zur Shortlist

Ausgehend von den oben beschriebenen Inhalten wird eine Ausschreibungsdokumentation erstellt. Die Gewichtung der verschiedenen Faktoren je nach Kundenbedürfnisse ermöglicht eine Vorselektion der Anbieter. Natürlich fliessen hier auch die technischen Anforderungen ein, d.h. vor allem die Frage, ob man sich ggf. auf eine Cloud Lösung einlassen kann. Die traditionellen ECM/DMS Produkte sind noch immer lokal installierte, serverbasierte SW-Komponenten. Cloud Lösungen sind erst langsam am Kommen, da es doch einige Stolpersteine gibt, die eine Einführung erschweren.

Es lohnt sich meist, die Ausschreibung aufzuteilen. Kunden und Produktanbieter müssen abgestimmt sein. Es gibt Produkte, die passen nicht in eine KMU oder sind für Grossunternehmen ungeeignet. Da es viele mittelständische Anbieter gibt, ist es sinnvoll, mit einer Kurzausschreibung herauszufinden, ob der Anbieter überhaupt ein passendes Angebotsportfolio hat. Damit erspart man sich und den Anbietern unnötigen Aufwand.

In die letzte Runde dürften es mindestens drei äquivalente Anbieter schaffen. In diesem Fall ist es wichtig, dass im Rahmen von Gesprächen evaluiert wird, wie gut sich der Anbieter auf den Kunden einstellen kann. Eine Ausschreibungsunterlage auszufüllen ist eines, sich aber auf die konkreten Bedürfnisse des Kunden einzustellen und mit ihm zusammenzuarbeiten, ist etwas Anderes. Natürlich spielt auch das Auftreten des Anbieters im Rahmen der Entscheidungsfindung eine wichtige Rolle. Nicht zuletzt stellen sich auch Fragen zur Qualität und der Konstanz des Anbieters wie auch des Integrators.

 

Zusammenfassung der Erfolgsfaktoren:

  1. Bevor man sich mit Produkten befasst, sollte man ein Gesamtkonzept erstellen, welches Informationsarchitektur, Taxonomie und Kommunikationskonzept umfasst. Sicherheitskonzepte ergänzen die Grundlagen.
  2. Im Konzept sollte bereits eine Etappierung der Implementierung angedacht sein. Im Rahmen des Projekts kann dann ggf. noch eine Anpassung erfolgen, da der Kunde vielfach erst bei der Implementierung versteht, was er mit den Werkzeugen alles machen kann.
  3. Bereits im Rahmen der Produktauswahl ist darauf zu achten, dass die Kommunikation und das Change-Management im Unternehmen geplant werden.
  4. Wenn Sie über zu wenig Know-how oder Ressourcen verfügen, ziehen Sie einen neutralen Berater bei, der Ihre spezifischen Anforderungen identifiziert und für sie die Produktevaluation durchführen kann.
  5. Wenn für Sie die rechtliche Konformität wichtig ist, setzen sie auf zertifizierte, neutral geprüfte Produkte. Prüfen Sie unbedingt, wie das Zertifikat erstellt wurde, bzw. nach welcher Norm das Produkt zertifiziert wurde. Da die Schweiz hohe Anforderungen kennt, ist auf eine Schweizer Zertifizierung zu achten („GeBüV konform“).

 

 

Autor:

Dr. iur. Bruno Wildhaber ist Unternehmer, Mitgründer des KRM (krm.swiss), dessen Geschäftsführer und Mitverfasser der Geschäftsbücherverordnung (GeBüV) sowie verschiedener Fachpublikationen zu den Themen Informationssicherheit, Records Management und Datenschutz.