«Data Driven Value Creation» – eine Wegbeschreibung

01.02.2023
7 Min.
Viele Unternehmen setzen Data-Science-Methoden ein, um neue digitale Businessmodelle zu erschliessen oder ihre bestehenden Dienstleistungen und Produkte zu erweitern. Die Möglichkeiten sind vielfältig und reichen von smarten Algorithmen mit künstlicher Intelligenz (KI) für die Automatisierung interner Kundenprozesse bis hin zu Machine-Learning-Lösungen für die computerunterstütze Qualitätssicherung in der Fabrikation. 
 
Heutige KIs können sogar eigene Texte schreiben und selbstständig Bilder generieren – so wie die Bilder in diesem Fachbericht, welche komplett vom Algorithmus DALL-E 2 erstellt wurden.
 
 

Diese fünf Bilder wurden mit DALL-E 2, beginnend mit dem Satz «Langer Bergpfad mit Flagge auf der Bergspitze, Digital Art» generiert. Quelle: DALL-E 2

 
 
Der neudeutsche Begriff «Data Driven Value Creation» steht dabei stellvertretend für Bestrebungen mit geeigneten Prozessen, Methoden und Technologien neue datengetriebene Wertschöpfungsprozesse und Businessmodelle zu erschliessen. In diesem Fachartikel wird beispielhaft aufgezeigt, mit welchen Schwierigkeiten Unternehmen konfrontiert sind, wenn sie beginnen datengetriebene Lösungen umzusetzen und welche Ansätze bei deren Konzeption und Umsetzung hilfreich sein können.
 
 

«Daten sind das neue Öl»

Dies verkündete der britische Mathematiker und Tesco Marketingstratege Clive Humby vor 16 Jahren und zog damit einen Vergleich zum Veredelungsprozess und der Wertschöpfungskette von Rohöl. Wie Rohöl, so würden auch gesammelte Daten erst nach erfolgreicher Weiterverarbeitung erst wirklich nutzbar und dadurch wertvoll werden. Auch wenn diese bekannte Metapher nicht unumstritten, und, zumindest aus heutiger ökologischer Sicht, eher negativ konnotiert ist, so illustriert sie dennoch sinnbildlich passend das Rennen auf das Gut «Daten». Wie bei einem «Oil Rush» versuchen Unternehmen seit Jahren angestrengt neue Datenquellen zu finden, diese anzuzapfen und nutzbringend einzusetzen.
 
Grosse Internetunternehmen wie Google, Amazon, Apple, Netflix oder Facebook aber auch Retail-Firmen wie Tesco oder Walmart haben früh damit begonnen Daten strategisch zu sammeln, zu organisieren und auszuwerten, und haben dadurch ihre Dienstleistungen äusserst erfolgreich als datengetriebene Prozesse neu definiert. 
 
Parallel dazu prophezeien seit Jahren die grossen Marktforschungsinstitute und Beratungsfirmen, wie beispielsweise Gartner in ihrem «Gartner Hype Cycle», die Wichtigkeit von «Data Driven Value Creation», also dem strategischen Einsatz von künstlicher Intelligenz für datengetriebenen Businessmodelle, Dienstleistungen und Produkte.
 
Im Rahmen der omnipräsenten und oft vagen «Digitalen Transformation» lastet ein stetiger Druck auf Unternehmen, sich selbst und ihre Produkte und Dienstleistungen mit künstlicher Intelligenz besser zu machen und neue digitale Businessmodelle zu (er-)finden. Der Weg dahin ist aber oft steinig und steil und kann mitunter auch in einer Sackgasse enden. 
 
Anders als bei den «Digital Natives», also Unternehmen, die aus rein digital-orientierten Businessmodellen entstanden sind, ist die erfolgreiche Umsetzung datengetriebener Lösungen für «traditionelle» Unternehmen, aufgrund bestehender Strukturen, schwieriger.
 
 

Viele KI-Projekte schlagen fehl

Gartner prognostizierte im Jahr 2018, dass bis ins Jahr 2022 über 85 % aller KI-Projekte fehlschlagen würden. Zudem kam eine IDC-Unternehmensbefragung aus dem Jahr 2019 zum Schluss, dass in jedem vierten Unternehmen die Hälfte aller KI-Projekte nicht erwartungsgemäss umgesetzt werden konnte. Mit diesen eher düsteren Erkenntnissen waren die beiden Marktforschungsinstitute bei weitem nicht allein.
 
Weshalb erfüllen so viele Datenprojekte die Erwartungen nicht, oder schlagen sogar fehl? 
 
Zu dieser Fragestellung gibt es viel Literatur. Eine wichtige Erkenntnis daraus, die sich auch mit der eigenen Erfahrung deckt: oft liegt es nicht an der technischen Umsetzung oder der Algorithmik, sondern es sind organisatorische, operative und strategische Gründe, die zum Misserfolg führen. Nüchtern betrachtet leuchtet dies ein. Der Algorithmus ist nur ein Zahnrad im Gesamtprozess von der Geschäftsidee bis zum umgesetzten Businessmodell.
 
Es gibt genügend technische Gründe, weshalb der Algorithmus nicht die gewünschten Ergebnisse liefert. Beispielsweise, wenn die Datenqualität oder Datenmenge für ein umfassendes Training des KI-Modells unzureichend ist. Dadurch wird sein Einsatz limitiert und sein Verhalten schwer vorhersagbar. Oder wenn es misslingt, die Lösung zu operationalisieren und sie nahtlos in die Produktion zu überführen, inklusive regelmässiger Wartung des KI-Modells.
 
 

Erfolgsfaktoren: Bedarf, Team und Management

Bevor im Unternehmen überhaupt über die Umsetzung einer neuen datengetriebenen Dienstleistung oder Produkterweiterung diskutiert wird, müssen zuerst verschiedene organisationsrelevante Faktoren untersucht werden. 
 
Es geht darum sicherzustellen, dass die zu entwickelnden digitalen Lösungen und Prozesse nicht losgelöst für sich stehen, sondern sich nahtlos in bestehende Prozesse einfügen und einem klaren Business Use Case (zu-)dienen. 
 
Bedarf
Der bereits eingeführte Begrifft «Data Driven Value Creation» kommt gleich zum Punkt: Es geht im Kern darum, mit neuen digitalen Lösungen, beispielsweise einer KI, und mithilfe von Daten einen Mehrwert generieren zu können. Es braucht deshalb zu Beginn einen klar identifizierten, realistischen, und messbaren Geschäftsbedarf und entsprechende Geschäftsziele. Und es muss aufgezeigt werden können, wie mit dem neuen Business Use Case ein «Return on Investment» erlangt werden kann.
 
Team
Neue datengetriebene Lösungen müssen bereits während ihrer Konzeption als integrativ betrachtet werden: Der Bedarf kommt von der Geschäftsleitung, das Branchenwissen und Detailbedarf vom Fachbereich, die Daten von (meist) verschiedenen Quellen mit unterschiedlichen Verantwortlichen, die Data-Science-Expertise, falls vorhanden, aus der Informatik, das Betriebswissen aus dem ICT-Team, und geleitet wird das Projekt durch das Projekt Management Team. Dies zeigt eindrücklich auf, dass Data-Science-Expertinnen und -Experten eingebettet in einem grösseren multi- und interdisziplinären Team arbeiten müssen. Ein reger und niederschwelliger Austausch zwischen den verschiedenen Rollen fördert das gemeinsame Verständnis und erlaubt es in kurzen Zyklen auf neue Erkenntnisse reagieren zu können.
 
Management
Neue digitale Lösungen erfordern meist eine Anpassung existierender Prozesse oder das Einführen neuer Prozesse, beispielweise für die Datenbeschaffung oder die Integration der Lösung mit bestehenden Schnittstellen. Dazu braucht es eine gute (Daten-) Strategie, den Willen diese Strategie um- und durchzusetzen, Geld und Ausdauer. Zusammen mit den bereits genannten Faktoren «Bedarf» und «Team» ist es naheliegend, dass für die Umsetzung einer datengetriebenen Initiative die vollumfängliche Unterstützung der Geschäftsleitung unabdingbar ist. Darüber hinaus müssen auch die Geschäftsleitung und (leitende) Mitarbeitende ein grundsätzliches Datenverständnis haben, damit diese die relevanten Entscheidungen überhaupt formulieren und mittragen können.
 
 

Erste Schritte

Die zuvor genannten Erfolgsfaktoren und Fallstricke sind bei weitem nicht abschliessend. Sie sollen jedoch dabei helfen einige bekannte Fehler zu vermeiden und im Unternehmen erste gute Grundlagen schaffen zu können.
 
Es bietet sich an, seine ersten eigenen Erfahrungen mit einem kleineren Projekt zu sammeln. Mit Hilfe agiler Methoden können die Anforderungen an den Business Use Case iterativ in kleinen Schritten formuliert, ausgestaltet, umgesetzt und regelmässig im Team validiert werden. Beispielsweise eigenen sich Dashboards hervorragend für einen einfachen Datenzusammenzug mit Informationsvisualisierungen und der Anzeige von zentralen Zustandsrapporte. Durch diesen Informationsgewinn lassen sich meist bereits bessere Entscheidungen treffen.
 
Es gibt ausserdem diverse weitere Möglichkeiten, um zusätzliche Erfahrungen mit datengetriebenen Lösungen zu sammeln. So gibt es zahlreiche Industrie- und Business-Konferenzen zum Thema, wie der jährlich durchgeführten Veranstaltung «Industrie 4.0 Use Cases» von Industrie 2025, welche zum Austausch einladen und Einblicke in erfolgreiche Projektumsetzungen gewähren. 
 
Ausserdem organisieren verschiedene Verbände, wie die Data Innovation Alliance, regelmässige Arbeits- und Expertengruppen-Treffen, in denen ein Austausch mit anderen Unternehmen, aber auch Forschungsinstitutionen, stattfinden. Und schliesslich gibt es die Möglichkeit, sich von auf Daten, Algorithmik, oder Business Engineering spezialisierten Unternehmen Know-how und Unterstützung einzuholen. 
 
 

Der Autor

 

Laszlo Etesi ist Geschäftsleiter der Ateleris GmbH, einem auf Software- und Technologie-Entwicklung spezialisierten Unternehmen am TECHNOPARK Aargau in Brugg. Er hat an verschiedensten nationalen und internationalen Projekten mitgewirkt und arbeitete lange Zeit in der angewandten Forschung als Entwickler, Software-Architekt und Projektmanager. Als externer Dozent unterrichtet er das Wahlmodul «Data Science Projektkompetenz» im CAS Data Science der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW.
 
 

Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 22-4

 

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