Digitalisierung auf Halde? Nein, clevere Automatisierung von Prozessteilschritten

13.04.2021
5 Min.
Muss es immer gleich ein neues Produkt oder gar eine Komplettlösung sein? Nein, denn durch eine clevere Automatisierung von manuellen und repetitiven Prozessteilschritten kann man selbst dafür sorgen, dass der administrative Aufwand handhabbar bleibt. 
 
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und vor allem solche, die sich gerade in einer Wachstumsphase befinden, stehen oft vor der gleichen Herausforderung: Ihre manuellen Prozesse im HR-Bereich bedeuten Mehrarbeit mit jedem zusätzlich eingestellten Mitarbeiter. 
 
Grosses Potenzial liegt daher in der Digitalisierung der administrativen Prozesse.
 
Die Einführung eines digitalen Produktes oder gar einer Komplettlösung bedeutet jedoch erst einmal eine grosse Investition. Voraussetzung für die erfolgreiche Einführung ist die genaue Kenntnis der eigenen Prozesse, Anforderungen und Fertigkeiten der Mitarbeiter. Darüber hinaus sollte bekannt sein, wo man in Zukunft hin will - denn nur so kann man sicher sein, dass das ausgewählte Produkt auch die zukünftigen Bedürfnisse abdeckt. 
 
Sonst läuft man der Gefahr, dass kommende Anforderungen nicht abgedeckt sind und ein Wechsel auf ein neues Produkt nötig wird.
 
 

Kein «Alles oder Nichts»

Die Digitalisierung verläuft jedoch nicht nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip: Es muss nicht immer gleich das grosse Produkt oder gar eine Komplettlösung sein. Sie kann auch in kleinen Schritten zur jeweils richtigen Zeit vorangehen - nämlich durch die ganz gezielte Automatisierung von Prozessteilschritten - genau dort wo es sie jetzt gerade braucht und die grössten Vorteile schafft.
 
Diese «Schritt-für-Schritt»-Digitalisierung bringt einige Vorteile mit sich:
 
Sie kann mit sehr wenig Aufwand betrieben werden, ein Grossteil der Anfangsinvestition entfällt und auch die Mitarbeiter bekommen die Möglichkeit, sich Schritt für Schritt an die neuen, automatisierten Arbeitsabläufe zu gewöhnen - und können diese im besten Fall sogar mitgestalten.
 
Simpel gesagt lässt sich so im Sinne des 80/20 Prinzips mit wenig Investition schon ein beträchtlicher Anteil an Digitalisierung umsetzen und dadurch Effizienzsteigerung erreichen, ohne dass man sich für ein bestimmtes digitales Produkt entscheiden muss.
 
 

Mit drei Stufen zum Erfolg

Dabei hat sich auch bei uns ein dreistufiges Vorgehen bewährt:
 

1. Digitalisierungsansätze identifizieren

Entscheidet man sich für eine schrittweise Automatisierung seiner Prozesse, muss man diese kennen. Womit verbringen die Mitarbeiter am meisten Zeit und welche dieser Aufgaben sind repetitiv und werden von Hand erledigt? 
 
Wichtig ist hierbei zu hinterfragen, wieso der jeweilige Prozessschritt repetitiver und manueller Natur ist. Wenn es hierfür keinen triftigen Grund gibt, wie beispielsweise eine Kontrollfunktion, so kann dieser Schritt, beziehungsweise mehrere zusammengehörige Schritte, automatisiert werden.
 

2. Transparenz und Zugang zu Daten schaffen

Bevor die identifizierten Prozesse automatisiert werden, kann es sich lohnen, die Information und den Informationsfluss in den jeweiligen Prozessschritten transparent zu machen. 
 
Wenn klar wird, welche Daten wann wohin fliessen, können sie gegebenenfalls transparent für alle im Sinne eines Informations-Hubs oder Self-Service Portals dargestellt werden. 
 
Auf diese Weise können im Vorfeld der Automatisierung Prozesse abgekürzt, beziehungsweise Prozessschritte weggelassen werden. 
 

3. Digitale Automatisierung vornehmen:

Heute existieren viele Möglichkeiten, ohne beziehungsweise mit sehr wenig Programmieraufwand, Prozesse zu digitalisieren. Hier helfen vor allem die vielen neu entstandenen No-Code- und Low-Code-Ansätze. 
 
Mit diesen können beispielsweise in kurzer Zeit Formulare erstellt, automatisierte E-Mails verschickt und standardisiert Dateien abgelegt werden. Auch der Aufwand für Abstimmung kann durch den Einsatz digitaler Kollaborationsmedien minimiert werden. Spannende Ansätze hierfür liefern beispielsweise Zapier, IFTTT, Typeform, Glide, Slack und auch verschiedene Google Produkte.
 
 

Beispiele für Automatisierungen im HR-Bereich:

 

Beispiel 1: Das Arbeitszeugnis 

 

Abbildung 1: Ausschnitt aus einem automatisierten Zeugniserstellungsformular.

 
 
Das manuelle Erstellen von Arbeitszeugnissen benötigt viel Zeit. Oftmals wird ein Arbeitszeugnis dabei aus vorherigen Zeugnissen zusammenkopiert - oder es wird vom Arbeitnehmer verlangt, dass dieser es selbst schreibt.
 
Digitale Arbeitszeugnisdienste gibt es auf dem Markt viele, die Funktionen sind umfangreich und bei der Nutzung der eigenen Sätze benötigt es Einrichtungsaufwand. Ausserdem sollte auch hier ein Evaluationsprozess vorausgehen. Das lohnt sich für einige wenige Arbeitszeugnisse im Jahr jedoch kaum.
 
Wieso nicht einen Schritt zurück gehen und überlegen, was 80 % der Arbeit verursacht? Das ist meistens das Zusammenkopieren der verschiedenen Textbausteine. 
 
Um das manuelle Kopieren zu automatisieren sucht man zuerst alle im Unternehmen genutzten Zeugnis-Bausteine zusammen und ordnet diese nach einem Bewertungsschema. Die Sätze sammelt man beispielsweise in einem Excel und kopiert sie von dort aus in einem ersten Schritt in die Arbeitszeugnisse. In einem zweiten Schritt programmiert man einen kleinen Generator - oder klickt die Sätze nach Bewertung über ein Formular zusammen. Nun muss man den Inhalt nur noch in ein vorformatiertes Dokument kopieren, Name und Adresse austauschen und eventuell hier und da noch ein Wort ergänzen. Und schon steht das Zeugnis.
 

Beispiel 2: Bewerbermanagement

Abbildung 2: Zap-Aktion im Bewerbungsprozess. Wenn das Bewerbungsformular ausgefüllt ist, wird die zuständige Person via Slack benachrichtigt.

 

Abbildung 3: Bewerbungsformular auf Google

 

Als Unternehmen bekommt man viele Bewerbungen mit unterschiedlichen Dokumenten und Qualitätsstandards. Die Auswahl und Vergleichbarkeit werden erschwert und die Sichtung der Dokumente nimmt viel Zeit in Anspruch, wobei Fragen häufig nicht beantwortet werden.
 
Durchläuft der Bewerber mehrere Gespräche im Bewerbungsprozess, kommt noch hinzu, dass er oftmals die gleichen Fragen durch verschiedene Mitarbeiter gestellt bekommt.
 
Durch den Einsatz von Low-Code- und No-Code-Tools kann dieser Prozess stark standardisiert und vereinfacht werden. Für den Bewerber entsteht eine Art Self-Service Portal in welchem er einerseits alle benötigten Informationen transparent erhält, andererseits auch von Anfang an alle relevanten Fragen gestellt bekommt und die Antworten und Dokumente zentral gespeichert werden.
 
Dazu wird der Bewerber vom ersten Kontakt an durch das Ausfüllen eines Fragebogens dazu gebracht, alle relevanten Informationen zu liefern. Wenn dieser nicht ausgefüllt wird, fällt der Bewerber aus dem Prozess heraus. Die Informationen werden automatisch und in vergleichbarer Form zentral gespeichert. Bei einer Einladung zum Gespräch bekommt er im Videoformat alle wichtigen Informationen zum Unternehmen und den Gesprächspartnern, sodass während des Gesprächs keine Monologe, sondern ein echter Austausch stattfinden kann. Und auch Übungen und deren Bewertung sind standardisiert und transparent zugänglich für alle Mitarbeiter, die am Bewerbungsprozess beteiligt sind. Denn nur so kann jedes weitere Gespräch für beide Seiten einen Mehrwert schaffen.
 

Beispiel 3: Lohnverhandlungen

Abbildung 4: Transparente Darstellung von Lohnbänder zur Einordnung eigener Löhne

 
Diese oft zähen und unangenehmen Verhandlungen können durch die absolute Transparenz der Lohnstruktur anhand von Lohnbändern abgekürzt werden. Hier kann man beispielsweise auf Basis von Industrievergleichen, sowie der Untersuchung eigener Löhne, Lohnbänder festlegen und diese den Mitarbeitern und sogar den Bewerbern offenlegen.
 
In einem weiteren Schritt kann man ein einfaches Tool erstellen, welches beispielsweise anhand von Vorbildung, Berufserfahrung und anderen relevanten Kriterien das Lohnband anzeigt. Und schon ist viel Zeit und Nerv in der Verhandlung eingespart.
 
Mit diesen sehr einfachen Schritten der Transparenz, Self-Service und dem Einsatz von kleinen Low-Code- und No-Code-Tools können auch KMU schnell und ohne grosse Vorinvestition von der Digitalisierung profitieren - ohne dass bereits Energie in die Evaluation und Einführung von Komplettlösungen investiert werden muss.
 
 

Die Autorin

Vanessa Meister ist seit 2014 am Aufbau verschiedener Startups im Innovationsbereich beteiligt und ist Partner und Mitglied der Geschäftsleitung verschiedener Software- und Digitalisierungsunternehmen. Als Gegner jeglicher Verschwendung hilft sie Unternehmen, ihre Prozesse schrittweise zu digitalisieren und so ihren Aufwand zu minimieren. www.89grad.ch / www.leanleaders.org
 
 

 

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