Industrie 4.0 bei Licht betrachtet

25.09.2020
3 Min.
Über Industrie 4.0 wird viel gesprochen. Nun scheint sich in der Praxis allmählich eine gewisse Ernüchterung bei der Verbreitung cyberphysischer Systeme einzustellen. Auch wenn die digitalen Technologien zur Verfügung stehen, werden sie nur zögerlich eingesetzt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, welche zusammen mit der CSI Entwicklungstechnik GmbH erstellt wurde. Was medial ein Hype ist, hat mit der Realität wenig zu tun.
 
«Der Hype um cyberphysische Systeme flaut langsam wieder ab, es wird hier und da von Gartner bereits von einem Tal der Enttäuschungen im Hype-Cycle gesprochen», hält Prof. Alexander Sauer, Institutsleiter Fraunhofer IPA, im Vorwort zur Studie fest. Diese Aussage bestätigen die Rückmeldungen der Entscheider und Fachexperten, welche an der Befragung teilgenommen hatten.
 
(Bild: Praphan Jampala / shutterstock.com)
 
 

Datensicherheit als Hindernis

Dass die neuen Technologien einen grossen Einfluss auf die Geschäftsmodelle und Produkte haben werden, ist für die Befragten unumstritten. Dass dabei mehr Software und eine steigende Anzahl von Displays für die Kommunikation zwischen Anwendern und Systemen zum Einsatz kommen und die externe Vernetzung zunimmt, erstaunt nicht wirklich. Bemerkenswert ist hingegen die Rückmeldung, dass die Datensicherheit als grösstes Umsetzungshindernis genannt wird. Die Sicherheit des Geschäftes von morgen, so die Studie, hängt eng mit der Sicherheit von Daten zusammen. Unter der Ägide der Industrie ist hier auch die Politik gefordert, möglichst rasch für transparente und verbindliche Sicherheitsstandards zu sorgen. Aus Sicht der Befragten gibt es heute noch keine überzeugenden Werkzeuge für die Gewährleistung von Sicherheit. Sicherheitsthemen haben inzwischen in den Unternehmen eine zentrale Bedeutung gewonnen. Die Studie stellt fest, dass das Thema Datensicherheit von zentraler Bedeutung für zukünftige cyberphysische Architekturen und damit eine unverzichtbare Notwendigkeit für die Realisierung solcher Architekturen darstellt.
 
 

Einführung eines Prüfsiegels?

Viele der Studienteilnehmer würden ein Prüfsiegel für zukünftige Architekturen begrüssen. Wichtig dabei ist die Unabhängigkeit, sowohl der definierenden als auch der prüfenden Organisation. Als Problem werden dabei die damit verbundene Komplexität sowie die Akzeptanz und Finanzierung betrachtet. Wie bei allen Prüfstandards zeichnet sich auch hier die Schwierigkeit einer Vereinheitlichung ab. Die Vergabe eines solchen Prüfsiegels sollte jeweils auf Produktebene erfolgen und regelmässig erneuert werden müssen. Mit einem solchen Prüfsiegel verbinden die meisten der Befragten konkrete Vorteile für die eigenen Produkte. Allerdings sieht es derzeit bei den Business Cases noch eher dürftig aus. Diese werden im Moment durch die in der Realität genutzten technischen Möglichkeiten definiert. Allgemein werden Pay-per-Use-Konzepten guten Chancen gegeben, was sich auch in der Diskussion um den Wert von Daten und Datenservices zeigt. Das lässt wiederum den Schluss zu, dass den Befragten eine Veränderung des klassischen Geschäftsmodells hin zu neuen Business Cases, z. B. bezahlte Nutzung ihrer Produkte statt Kauf, bewusst ist.
 
 

Virtualisierung ja, Blockchain eher nicht

Für die Verbesserung von Fehlerbetriebsstrategien, die Erhöhung der Verfügbarkeit und die Vereinfachung von Service-Routinen wird bereits heute auf Virtualisierung gesetzt. Hinsichtlich Cloud zeigt man sich zögerlich, wenn es um die Vernetzung von sicherheitsrelevanten Funktionen geht. Datenintegrität, Sicherheit und Verfügbarkeit stellen sehr hohe Ansprüche. Auf besonderes Interesse stossen bei den befragten Experten serviceorientierte Architekturen, wobei festgehalten werden muss, dass diese Konzepte in gewissen Bereichen keine Relevanz haben oder teilweise noch zu wenig bekannt sind. Für mehr als die Hälfte der Teilnehmer sind Onlinesimulationen, die auf Steuergeräten parallel laufen, ein Bereich, in dem man bereits aktiv unterwegs ist. Etwas erstaunlich ist die Aussage, dass das Thema Blockchain zwar geläufig ist, doch drei Viertel der Befragten dieser Technologie keinen relevanten Stellenwert zuordnen. Allgemein zeichnet es sich ab, dass konkrete Nutzungsszenarien der aktuellen technologischen Ansätze erst in Anfängen zu sehen sind. Allerdings ist der Wille, diese Aktivitäten künftig zu intensivieren, durchaus vorhanden. Grundbedingung ist dabei die Erfüllung der hohen Sicherheitsanforderungen hinsichtlich Datensicherheit und IT-Sicherheit. 
 
 

Fazit: eher ernüchternde Zwischenbilanz

Wer die Studie liest, kommt zum Schluss, dass der mediale Hype um Themen wie Industrie 4.0 und Mobilität 4.0 ein ganzes Stück weit von der unternehmerischen Realität entfernt ist. Es bedarf noch einiger Anstrengungen, bis aus Visionen konkrete Produkte werden. Es darf dabei auch nicht bei reinen Diskussionen zum Thema Datensicherheit bleiben, hier braucht es als erstes verbindliche Standards, vielleicht wirklich ein Label. Solange diese Hausaufgaben nicht gemacht sind, werden es cyberphysische Systeme, wie zum Beispiel selbstfahrende Autos, schwer haben, den Sprung vom Prototyp in die Serienproduktion zu schaffen. Dies auch, weil echte Business-Cases derzeit noch Mangelware sind. Steht künftig die Nutzung statt der Kauf von Geräten oder Maschinen im Vordergrund, ist ein umfassender Wechsel bei vielen Geschäftsmodellen unumgänglich. Doch trotz aller derzeitigen Vorbehalte und einer im Moment eher noch ernüchternden Zwischenbilanz, kommt dem Thema Industrie 4.0 eine hohe Bedeutung zu. Immerhin hat man die aktuellen Probleme erkannt. Zu hoffen ist, dass diese auch angepackt und in absehbarer Zeit gelöst werden können. 
 
Die Studie «Funktions- und datensichere Cyberphysische Systeme –  FUDASI CPS» wurde durch das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA zusammen mit dem Automotive-Zulieferer CSI Entwicklungstechnik GmbH erstellt und durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg im Rahmen des S-TEC-Projekts Zentrum für Cyberphysische Systeme unterstützt.

Der Autor

Christian Bühlmann war Chefredaktor des topsoft Fachmagazin.
 
 

 

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