Instant Payments und Request-To-Pay – Disruption im Schweizer Zahlungsverkehr?

16.01.2023
7 Min.
Der Zahlungsverkehr wandelt sich ständig. Statt mit dem gelben Büchlein zum Postschalter zu wandern, wurden vor einigen Jahrzehnten die Einzahlungsscheine mit einem Zahlungsauftrag bei der Bank eingeworfen. Daneben gab es papierlose Zahlungsarten wie Kredit- und Debitkarten. Später kam das Online-Banking, neu die QR-Rechnung und eBill. Jetzt geht die Reise in diesem Bereich vielerorts weiter zu den Instant Payments, wo das Geld elektronisch sofort den Besitzer wechselt und viele neue Möglichkeiten eröffnet. Was bedeuten diese Trends für die Schweiz?
 
 

Bild: zVg SIX
 
 
Was haben der Gotthardtunnel, der Suezkanal oder ein Flughafen mit dem Zahlungsverkehr gemeinsam? Auf den ersten Blick wenig, bei genauerem Hinschauen aber doch so einiges. Während Eisenbahn, Schifffahrt und Flugverkehr den Transport von Gütern und Personen sicherstellen, gewährleistet der Zahlungsverkehr lokale und globale Geldflüsse und damit das Funktionieren der Wirtschaft. Beide Bereiche setzen funktionierende Infrastrukturen voraus. Diese passen sich gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen an und sorgen immer wieder für Innovationsschübe. Hier wie dort sind in der Regel signifikante Investitionen notwendig. Davon profitieren künftige Generationen, die darauf aufbauen und weitere Innovationen ermöglichen.
 
 

Vom Propellerflugzeug zum Jet

Was im Luftverkehr der Wechsel vom Propeller- ins Jet-Zeitalter war, ist im klassischen Zahlungsverkehr der Übergang von nicht zeitkritischen Sammelzahlungen ins Instant-Payment-Zeitalter. 
 
Mit der Einführung der ersten zuverlässigen Passagierjets in den späten 1950er Jahren veränderte sich das Reisen radikal. Neue Antriebstechnologien und effiziente Grossraumflugzeuge erlauben immer breiteren Bevölkerungsschichten, grosse Distanzen bei hohem Reisekomfort ohne Zwischenlandungen deutlich schneller zurückzulegen. Gleichzeitig bauen die Betreiber ihre Flughäfen kontinuierlich aus, um das rasant steigende Passagiervolumen zu bedienen. Niemand will mehr zurück zu den alten Propellerflugzeugen. 
 
Ganz ähnlich ist es im Zahlungsverkehr: Dank der Eigenschaft von Instant Payments, Zahlungen innert Sekunden final abzuwickeln, «reist» das Geld deutlich schneller und unterbruchfrei. Der Geldtransport von Konto zu Konto wird plötzlich auch für Zahlungen interessant, die heute beispielsweise in Kartennetzwerken abgewickelt werden. Analog zu Grossraumflugzeugen oder Flughäfen sind Instant-Payment-Infrastrukturen nur dann wirtschaftlich, wenn sie gut ausgelastet sind. Zweifellos werden Instant Payments früher oder später zur neuen Norm, so dass wir uns die alte Zahlungsverkehrswelt nicht mehr zurückwünschen werden. 
 
Obwohl bereits in vielen Ländern Instant-Payment-Lösungen verfügbar sind, gelten global gesehen nur unwesentliche Teile des Zahlungsverkehrs als Instant Payments. Woran liegt das? Ein Grund dürfte sein, dass Zahlungen am Point of Sale (POS) oder im E-Commerce heute über Karten und globale Kartennetzwerke abgewickelt werden und sich auf bestens etablierte Prozesse und Gewohnheiten abstützen. Wir beobachten verschiedentlich Bestrebungen, diese globalen Abhängigkeiten dank lokaler, innovativer Lösungen zu reduzieren. Eine prominente Initiative ist die Retail Payments Strategy der Europäischen Union. Sie zielt unter anderem darauf ab, mit paneuropäischen Zahlungslösungen die EU-Bevölkerung zu versorgen und damit die Autonomie Europas zu erhöhen.
 
 

Request-to-Pay: Katalysator für Instant Payments?

Praktisch jede Veranstaltung rund um den Zahlungsverkehr beschäftigt sich heute mit Request-to-Pay (RTP). Oft sprechen hier Experten vom fehlenden Puzzleteil in einer neuen Zahlungsverkehrslandschaft. Warum?
 
Bei RTP handelt es sich um eine Meldungsabfolge. Dabei sendet der Zahlungsempfänger eine Zahlungsanfrage an die Zahlende. Diese hat nach dem Empfang der Anfrage zwei Möglichkeiten: sie zu akzeptieren oder abzulehnen. Falls die Zahlende sie akzeptiert, löst dies eine Überweisung aus, die dann das Zahlungssystem in der Regel als Konto-zu-Konto-Zahlung abwickelt – verzögert (non instant) oder in Echtzeit (instant). Es gelten also die gleichen Abwicklungsmechanismen wie bei normalen Banküberweisungen, was Effizienz schafft und die Unabhängigkeit gegenüber anderen, kartenbasierten Zahlungsmitteln erhöht.
 
Wie gross das Potenzial eines RTP-Verfahrens mit Instant Payments ist, zeigt sich beispielsweise am POS. Anstatt eine Karte zu zücken, könnte ich für mein Take-away-Getränk eine vom Café ausgelöste RTP in einer Mobile App bestätigen und das Getränk instant bezahlen. Das heisst, in wenigen Sekunden würde mein Konto belastet und der Betrag dem Konto des Cafés gutgeschrieben. Dieses Szenario lässt sich auch auf Einkäufe in Online-Shops übertragen. 
 
Ein weiteres, oft diskutiertes Anwendungsbeispiel ist die Rechnungsstellung. Zwar spielen hier Instant Payments in der Regel eine untergeordnete Rolle. Aber im Grunde genommen ist das Zustellen einer Rechnung – auch klassisch auf Papier – nichts anderes als ein RTP. Kein Wunder also, dass sich die Zahlungsverkehrs-Communitys für die Kombination von RTP und Instant Payments begeistern. Allerdings lassen sich die Infrastrukturen dafür erst skalieren, wenn RTP einem grossen Kreis von Zahlungsempfängern und (potenziellen) Zahlenden zugänglich wird.
 
 

Die Schweiz ein RTP-Land?

Eigentlich verfügt die Schweiz bereits seit 2018 über eine moderne RTP-Infrastruktur. Das ist möglicherweise nicht offensichtlich. Aber mit der Lancierung von eBill – der digitalen Rechnung für die Schweiz – hat SIX eine Finanzplatzinfrastruktur erschaffen, die alle wesentlichen Elemente einer gut ausgebauten RTP-Lösung umfasst:
  • Das Matching zwischen Zahlungsempfänger und Zahler, d.h. ein Zustimmungsprozess für die Zustellung von RTP-Meldungen
  • Die Zustellung einer RTP-Meldung – in der heutigen eBill-Ausprägung in Form einer Rechnung
  • Die Möglichkeit für den Zahler, die RTP-Meldung abzulehnen bzw. zu akzeptieren und bezahlen
  • Die Zahlungsabwicklung über die SIC-Plattform – effizient und direkt als Konto-zu-Konto-Transaktion
  • Das Ganze findet in einer Umgebung statt, die auf höchste Sicherheit, Zuverlässigkeit und Transparenz im Interesse des Nutzerkreises ausgelegt ist.
 

LSV in die Moderne überführen

Mit der eBill-Plattform verfügt der Finanzplatz über eine Infrastruktur, die sich auf vielfältige Art und Weise weiterentwickeln lässt. Gegenwärtig untersucht SIX, inwiefern sich die heute gängigen Lastschriftverfahren mit einer auf eBill basierenden Lösung standardisieren, ablösen und in die Moderne überführen lassen. Dazu ist eine Erweiterung von eBill um zwei Elemente vorgesehen, die heute wesentliche Werttreiber von Lastschriften sind:
 
  • Das Auslösen von Einzügen per Stichtag und über vorgegebene, unveränderbare Beträge. Das ist eine zentrale Funktion für die Steuerung der Cashflows bei Unternehmen.
  • Eine Charge-Back-Funktion, die den Zahlenden bei einer ungerechtfertigten Abbuchung schützt – ähnlich wie wir dies heute von den Kreditkarten her kennen.
 
 

Wie spielt eBill mit Instant Payments zusammen?

In der Schweiz werden Instant Payments ab Mitte 2024 im Markt verfügbar sein. Von grosser Tragweite mit Blick auf die nächsten 20 Jahre ist entsprechend die Frage, ob und wie die eBill-Infrastruktur mit Instant Payments zusammenspielen soll. Konkreter: Soll die eBill-Infrastruktur zukünftig Instant Payments unterstützen und als RTP-Mechanismus auch für POS- und E-Commerce-Transaktionen eingesetzt werden?
 
 

Mit Weitsicht gestalten

Viele uns prägende Errungenschaften wurden durch klare Visionen, gepaart mit Um-setzungsstärke und politischem Geschick erreicht. Das Gleiche gilt auch für die nächste Generation des Schweizer Zahlungsverkehrs. Darüber hinaus brauchen wir Mut zu Lösungen, die vereinfachen, und vor allem eine breite Abstützung bei allen Akteuren. Am Ende nämlich entscheiden sie über den Erfolg der Einführung von Instant Payments und einer eBill-Infrastruktur, die sich an RTP orientiert. 
 
 
 

Der Autor

Daniel Berger ist Head Ecosystem Billing & Payments bei SIX
 
 

Der Beitrag erschien im Special "Information Governance 2022 zum topsoft Fachmagazin 22-4

 

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