Vom Patienten zum Health User – mit Datenanalysen einen Mehrwert für Health-Kunden schaffen

09.09.2021
5 Min.
Was in anderen Branchen gang und gäbe ist, ist im Gesundheitswesen noch nicht Standard. Viele Prozesse laufen immer noch über Papier, dabei liessen sich über die digitale Erfassung und smarte Nutzung von Kundendaten spannende personalisierte Ansprachen und Angebote entwickeln. Diese generieren einen Mehrwert, sowohl kunden- als auch unternehmensseitig. Eine Übersicht dazu, wie die Erwartungen eines Health-Kunden sind und mit welchen Services gewinnbringend darauf eingegangen werden kann, um Kundenbindung und -zufriedenheit zu erhöhen.
 
 
(Bild: zVg)
 
 
Digitale Plattformen und Services, Kundenfokus und Personalisierung, datengetriebenes Marketing – dies geht im Schweizer Gesundheitswesen zu einem grossen Teil nur schleppend und fragmentiert voran. Man mag mit der Komplexität und dem Schutz von Gesundheitsdaten argumentieren, doch dies greift zu kurz. Zum einen sind einige Unternehmen bereits sehr gut darin, Kundendaten zu erfassen, smart zu analysieren und darauf basierend digitale Customer Journeys zu entwerfen, die für beide Seiten gewinnbringend sind. Zu beachten gilt es jedoch, dass die Wege des Kunden nicht immer linear und vorhersehbar verlaufen – vielmehr muss nun zwischen den drei Phasen «Anreiz & Kontakt», «messy middle», d. h. Erforschung und Bewertung, sowie Erfahrung und Kauf unterschieden werden.
 
Zum anderen beginnt die Kontroverse aber bereits beim Wort «Kunden».  Oder ist, wer eine Gesundheitsdienstleistung beansprucht, ein Patient, ein potenzieller Patient, oder, wie es oft im digitalen Kontext heisst, ein Health User? Denn gerade auf Seiten der Leistungserbringer, also bei Ärzten und Spitälern, gibt es laute Gegenstimmen dazu, dass Patienten als Kunden bezeichnet werden. Die Kundenbeziehung sei flüchtig und oberflächlich, ein Zeichen der steigenden Ökonomisierungstendenzen, die auch vor dem Gesundheitswesen mit Kostendruck und Fallpauschalen nicht Halt machen. Zudem sähen sie sich nicht als Dienstleister, sondern der Fürsorge des Patienten verpflichtet. 
 
Doch muss hier eines das andere zwangsläufig ausschliessen? Denn erstens sind nicht alle, die eine Gesundheitsdienstleitung in Anspruch nehmen krank, zweitens möchten auch gerade chronisch Kranke nicht als Patienten bezeichnet werden. Denn das «Kunde-Sein» hat auch sein Gutes: man erwartet Qualität und Professionalität in der Dienstleistung und in der Kommunikation zwischen den beiden Parteien, man fühlt sich in diesem hierarchischen Verhältnis weniger ausgeliefert. Sei dies nun zwischen dem Hausarzt und einem kranken Menschen, zwischen der Kundenberatung eines Krankenversicherer und einem Versicherten, aber auch zwischen einem pharmazeutischen Unternehmen und medizinischen Fachpersonen. 
 
Schon diese geschilderte Kontroverse macht sichtbar, wie sich das Arzt-Patienten-Verhältnis und die beiden Rollenbilder verändert haben, einhergehend mit sich immer noch wandelnden Erwartungen.
 
 

Vom Arzt zum Patienten

Noch vor einigen Jahrzehnten war das Arzt-Patienten-Verhältnis geprägt von einem ausprägten hierarchischen Verhältnis und einer Asymmetrie des Wissens, die sich in einer starken Abhängigkeit des Patienten vom Urteil des Arztes manifestierte. Der Zugang zum medizinischen Wissen war exklusiv den medizinisch ausgebildeten Berufen vorbehalten. Entsprechend war auch die Stellung des Arztes eine andere – der Arzt hatte seine Klientel auf sicher, Empfehlungen über Word-of-Mouth (Mundpropaganda) funktionierten informell und ungeordnet.
 
Die heutigen Patienten oder Health User sind kritischer, selbstbewusster, können sich selbst zu medizinischen Sachverhalten informieren und erwarten eine modernisierte Arzt-Patienten-Beziehung. Sei dies nun ein Gespräch auf Augenhöhe, da die subjektiv wahrgenommene frühere Wissensasymmetrie gefühlt kleiner geworden ist, oder sei dies bei den Services rund um einen Spital- oder Arztbesuch.
 
 

Den Erwartungen gerecht werden

Doch wie kann man die gestiegenen Erwartungen des Kunden an das Gesundheitswesen erfüllen? Wie kann man mit ihr oder ihm gezielt kommunizieren und welche digitalen Services unterstützen den personalisierten Kundenkontakt? Die Lösung dazu ist ein datengesteuerter Ansatz, der es Kunden und Patienten ermöglicht, auf einfache und Art und Weise ihre Gesundheit zu managen. Idealerweise auf digitalen Plattformen und Services und über eine gute Beziehung zum Gesundheitsdienstleister, der seine Bedürfnisse kennt und personalisiert anspricht. Dinge, die in den Bereich E-Commerce, E-Banking oder Fahrtenbuchung selbstverständlich sind. Denn aufgrund der steigenden Nutzung von Smartphones und den deshalb leicht zugänglichen digitalen Services hat sich das Verhalten der Kunden und Patienten geändert. Gerade im urbanen Raum, wo ein dichtes Angebot an Gesundheitsdienstleistern vorhanden herrscht, ist eine professionelle digitale Präsenz wichtig. 
 
Es wird online nach einem Arzt gesucht, sei es nun ein Hausarzt, Kinderarzt oder Facharzt. Ebenso wird online bewertet und diese Bewertungen werden auch gelesen. Dies stellt Ärzte, je nach geographischem Standort und Fachgebiet vor ganz neue Herausforderungen. Gerade bei medizinischen Berufseinsteigern ist dies ein Thema. Zum einen hat die potenzielle Klientel aufgrund der digitalen Services der Konkurrenz schon andere Ansprüche, zum anderen ist ein jüngerer Arzt auch selbst digital affin und genervt von komplizierten Systemen und zu vielen Medienbrüchen.
 
 

Das Wissen rund um den Kunden

Hier ergeben sich mit der Digitalisierung riesige Chancen. Denn das Wissen, das beispielsweise beim Patienten früher aus einem Eintrag in der Adresskartei und einer handschriftlichen Krankenakte bestand, hat sich nun auf viele verschiedene Kanäle verteilt. Natürlich lassen sich gerade Patientendaten nicht verwenden – aber es spricht nichts dagegen, Kunden für einen Newsletter registrieren zu lassen, die sich dafür interessieren. 
 
Ein gut geführtes und strukturiertes CRM ist dabei die Basis von allem – und ermöglicht es beispielsweise einer Dermatologin interessierten Patienten mitzuteilen, dass ein neuer Arzt in der Praxis tätig wird, somit mehr freie Termine über das neue Buchungstool verfügbar sind. Oder dass z. B. ein neues medizinisches Gerät angeschafft wurde, das Untersuchungen noch präziser und effizienter macht. Mit einem geschickten Call-to-Action nehmen Kunden dies zum Anlass, einen vielleicht langen aufgeschobenen Termin mit dem Smartphone in der Hand doch noch schnell zu buchen. Überzeugt vom professionellen Online-Auftritt, der intuitiven Terminbuchungsplattform und der modernen Praxis.
 
 

Fokus auf den Kunden/Patienten und Segmentierungen

Was banal erscheinen mag, ist im Gesundheitswesen noch nicht überall der Regelfall. Während Krankenversicherer bereits seit geraumer Zeit im Zusatzversicherungsgeschäft Kunden einigermassen gezielt anschreiben dürfen, so steckt im Rest des Gesundheitswesens die Segmentierung und das entsprechende gezielte Anschreiben noch in den Kinderschuhen. Denn basierend auf dem Verhalten des Kunden und der Analyse von dessen Präferenzen und Bedürfnissen lassen sich darauf zugeschnittene Marketingmassnahmen und im Idealfall entsprechende Angebote realisieren.
 
 

Zusätzliche Services, die einen Mehrwert schaffen

Einmal mehr sind hier einige Krankenversicherer in der Vorreiterrolle und bieten ihren Versicherten schon lange mehr als «versichert sein» und in regelmässigen Abständen Rechnungen sowie die jährliche Police zu erhalten. Daher sind das Einscannen der Belege, Hochladen in das jeweilige Kundenportal, direkte Chatfunktionen zum persönlichen Kundenberater sowie Apps, die Zusatzservices wie digitale medizinische Ratgeber bieten, teilweise schon Standard geworden.
 
Entsprechend erwarten Kunden von anderen Gesundheitsdienstleistern wie Spitälern und Ärzten eine ähnliche Convenience, die aber nur sehr fragmentiert vorhanden ist.
 
Dabei gibt es bereits einige Plattformen, die eine online Terminvereinbarung, inklusive Kalendereintrag und Reminder beinhalten und im Nachgang die Bewertung des Arztes sowie die Suche nach weiteren medizinischen Angeboten vereinfachen. Ebenfalls verbreitet sind Erinnerungsmeldungen zu Medikamenteneinnahmen, telemedizinische Angebote werden ebenfalls immer weiter ausgebaut. Hier muss das Ziel die Vernetzung der Daten sein.
 
 

Die Kundenbindung der Zukunft

Wie einleitend beschrieben, sind die Erwartungen der Patienten gestiegen. Mit der zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens sind vergleichbare Unternehmen und Institutionen in ein Konkurrenzverhältnis geraten, was gleichzeitig den Nutzern der Gesundheitsdienstleitungen interessante Wahlmöglichkeiten eröffnet. Die Kundenbindung kann so zukunftsträchtig und individuell gestaltet werden.
 
Entsprechend wird, was ehemals nicht nötig war, nun zur Pflichtübung – mit Luft nach oben. Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen müssen mit ihren Kunden in Kontakt bleiben, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Dies ist nicht nur für Versicherer interessant, sondern auch für Spitäler und Ärzte, die sich vermehrter Konkurrenz und einem ökonomischen Druck ausgesetzt sehen. Die Digitalisierung eröffnet hierbei interessante Möglichkeiten, die auf der Basis von Daten möglich sind. Wichtig: diese können natürlich ebenso von einem Digital Health Startup, einem Privatspital oder einem Pharmaunternehmen, das mit Ärzten und Spitälern in Verbindung bleiben möchte, und vielen anderen angewandt werden.
 
 

Die Autorin

Sunjoy Mathieu ist Kommunikationsberaterin mit Schwerpunkt Healthcare bei Farner Consulting AG.
In ihren Pro-bono Tätigkeiten fördert sie einerseits als Präsidentin des Vereins «Women in Digital Health» Vernetzung und Visibilität von Frauen in der Branche, andererseits setzt sie sich bei HIMSS in der Global Health Equity Network Advisory Task Force für Diversität, Inklusion und Zugang zum Gesundheitswesen für alle ein.
www.womendigitalhealth.net
 
 
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Swonet.
 
 

 

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