Wo sind die ERP im Software-as-a-Service Modell in der Schweiz?

05.05.2023
7 Min.
Seit bald fünfzehn Jahren wird Software im sogenannten SaaS-Modell angeboten. Diese Angebotsform bietet sowohl für den Software-Anbieter als auch für deren Kunden viele Vorteile und Chancen. Erstaunlicherweise sind solche Angebote im Schweizer Business-Software-Markt sehr dünn gesät. Es wäre endlich an der Zeit, dass auch die Schweizer KMU von den Kostenvorteilen und der Flexibilität dieses Modells profitieren könnten.
 
 

Symbolbild von Growtika via Unsplash

 
 
Am 24. September 2009 hielt ich an der topsoft Fachmesse einen Vortrag mit dem Titel: “Cloud Computing – ein neuer Ansatz mit vielen Fragezeichen”. Ich hatte damals als rares Beispiel für eine Schweizer Business-Software, die in einem webbasierten Software-as-a-Service-Modell angeboten wurde, ein Produkt mit dem Namen easysys von einer Firma iBrows erwähnt. Es war das Vorgängerprodukt der KMU-ERP-Lösung, die heute unter dem Namen Bexio bekannt ist und zu den Marktführern in diesem Segment gehört. Salesforce.com war im Jahr 2009 übrigens bereits seit zehn Jahren verfügbar, doch im Schweizer Software-Markt waren damals ähnliche Angebote noch immer an einer Hand abzuzählen. Die Software-Anbieter in unserem Land taten sich schwer mit diesem Modell und, so wie es scheint, ist das auch heute noch der Fall.
 
 

Rare Schweizer SaaS-Angebote

Wenn ich in der topsoft Marktübersicht die Liste auf die Kriterien «Client im Browser» und «Cloud» eingrenze, dann bleiben von den 2253 Produkten von 960 Anbietern noch ganze 18 Produkte von 12 Anbietern übrig. Und wenn ich diesen kleinen Rest genauer betrachte, frage ich mich, ob die Schweizer Business-Software-Industrie je im 21. Jahrhundert ankommen wird. Sowohl die Art und Weise wie die Produkte angeboten werden, wie auch, wie sie aussehen, gibt mir den Eindruck, dass die Schweiz Ende der 1990er-Jahren stecken geblieben ist. Immerhin 51 Produkte von 35 Anbietern bieten eine REST-API. Doch sind das erschreckend Wenige, die diese wichtige Integrationsmöglichkeit anbieten.
 
Ich frage seit Jahren Branchenvertreter, warum nicht die Mehrheit der Business-Software so angeboten wird wie Bexio. Eine Business-Software sollte so bereitgestellt werden, dass ich einfach einen Account online eröffnen kann, ohne Eingriff des Herstellers. Dann, dass ich die Software im Browser und idealerweise mit einer Mobile-App bedienen kann, dass ich alles, was ich brauche, selbst konfigurieren und dass ich weitergehende Anpassungen mit NoCode- oder LowCode-Features anpassen kann. Weiterhin sollte diese Software über eine vielseitige und gut dokumentierte Web-API verfügen, damit einfach Integrationen zu anderen Systemen entwickelt und eingerichtet werden können. Idealerweise werden Standardtrigger und -actions für die wichtigsten NoCode-Integrationsplattformen wie Zapier und Make bereitgestellt. Zu guter Letzt muss es jederzeit möglich sein, alle Daten in sinnvollen Formaten zu exportieren.
 
In der Regel wird mir geantwortet, dass Bexio, Klara usw. für kleine Unternehmen seien und deshalb viel einfacher auf diese Weise organisiert werden könnten. Sobald die Anforderungen individuell und komplex würden, ginge das nicht mehr. Eine gut klingende Ausrede. Ich bin zwar seit einigen Jahren nicht mehr im Geschäft mit Salesforce.com tätig, aber bereits vor zehn Jahren war es so, dass auch sehr komplexe Prozesse und individuelle Anpassungen auf solchen Cloud-Plattformen umgesetzt werden konnten. Es gibt keine plausible Erklärung, warum Individualisierung nur auf Basis von On-Premise-Server-Installationen möglich sein sollen.
 
Eine weitere häufige Antwort lautet, dass die Kunden diese Art von Software-Bereitstellung gar nicht wünschten. Das kann ich mir zwar vorstellen, aber wir können davon ausgehen, dass sich das ändern wird. Zudem wäre es die Aufgabe von Software-Herstellern, etwas weiterzudenken als die Kunden und technologisch voranzugehen.
 
 

Neue Generation als Treiber

Warum glaube ich, dass die Nachfrage nach zeitgemässen SaaS-ERP-Angeboten wachsen wird? Hier sehe ich drei Treiber: Erstens werden junge Mitarbeitende in der Lage sein, die Prozesse effizient zu organisieren und dafür braucht es die Integrations- und Automatisierungsmöglichkeiten via Web-API. Zweitens wird der zunehmende Fachkräftemangel den Druck auf effizientere Abläufe erhöhen und drittens werden die KMUs durch Angebote wie Office365 immer SaaS-affiner.
 
Gerade bei jungen Firmen ist es oft völlig normal, dass sie Homeoffice und Remote-Arbeit ermöglichen und meistens wird dies durch den Einsatz von browserbasierten Anwendungen wie monday.com, Asana, Notion, ClickUp, Airtable usw. erst möglich. Was alle diese Lösungen gemeinsam haben: Sie sind sehr flexibel in Bezug auf die Anpassungs-, Integrations- und Automatisierungsmöglichkeiten. Und sie werden als Software-as-a-Service-Modell angeboten.
 
Natürlich gibt es auch gegenläufige Entwicklungen. So lassen Datenschutzbedenken und auch Fragen der Abhängigkeiten die Skepsis bei SaaS-Produkten vielerorts wieder ansteigen. Diese ist keineswegs unberechtigt und es gilt wie bei jeder Software-Evaluation zu prüfen, ob das Angebot den eigenen Sicherheitsbedürfnissen genügt. Es wäre aber falsch, davon auszugehen, dass eine selbst oder auf eigener Hardware in einem Rechenzentrum gehostete Lösung per se sicherer ist als eine Cloud-Lösung. Auch das Thema Datenschutz ist unabhängig von der Art und Weise der Bereitstellung sehr genau zu betrachten. Die Herausforderungen an die Sicherheit bei selbst gehosteten Lösungen wachsen ständig und gerade für KMU ist es oft schwierig, diesen gerecht zu werden.
 
Zudem müssen die Kosten im Auge behalten werden. Gerade wenn man sehr viel Serverleistung oder Speicher benötigt, kann ein SaaS-Angebot richtig teuer werden. Wie wir kürzlich vom CTO der amerikanischen SaaS-Software 37Signals lesen konnten, kann es sich in einem solchen Fall unter Umständen lohnen, wenn man seine eigene Hardware betreibt. Aber Achtung: Bei solchen Vergleichen müssen immer alle Kosten in die TCO-Betrachtung einbezogen werden. Neben der Hardware, deren Abschreibung und der Miete im Rechenzentrum müssen auch allfällige Ersatzbeschaffungen, die Sicherstellung der Ausfallsicherheit, Backups und Security und die Wartungsarbeiten berücksichtigt werden. In den meisten Fällen lohnt sich das kaum, gerade für die vielen eher kleinen KMU in der Schweiz.
 
 

Ausländische Konkurrenz schläft nicht

Im Gegenteil, die Schweizer KMU wären eigentlich darauf angewiesen, kostengünstige und flexible SaaS-Anwendungen nutzen zu können. Nur schon, weil die internationale Konkurrenz solche Produkte einsetzt und damit nicht wegen der Kosten, sondern auch bezüglich Agilität und Resilienz besser aufgestellt ist. Es macht einen grossen Unterschied, ob ich für eine kleine Prozessanpassung einen halben Tag mit internen Ressourcen einsetzen kann, oder ob ich dafür ein Projekt mit einem Berater und einer Programmiererin meines Software-Anbieters starten muss. 
 
Es ist gerade für KMU wichtig, dass sie sich um ihr Kerngeschäft kümmern können und sich nicht mit Wartung von immer komplexerer und aufwendigerer ICT-Infrastruktur herumschlagen müssen. Ein klassisches Rechenzentrum- oder ein Application-Service-Providing-Modell (APS), wie es oft unter dem Namen Private-Cloud angeboten wird, ist allerdings keine Alternative zu einem SaaS-Angebot. Denn in diesem Fall bleibt die Verantwortung des Betriebs letztendlich beim KMU und auch die Kostenvorteile gegenüber der Hardware im eigenen Haus fallen in der Regel viel geringer aus als bei einem skalierbaren SaaS-Angebot. Kommt dazu, dass solche Installationen komplex, schwerfällig und sehr wartungsintensiv sind.
 
Das Kerngeschäft fast jedes KMU ist durchdrungen von Digitalität – jede Firma ist eine digitale Firma. Umso wichtiger ist es, dass diese KMU mit ihren Ressourcen die genutzte ICT-Infrastruktur laufend ihren Bedürfnissen und den Marktherausforderungen anpassen können. Es wäre darum für die Schweizer Wirtschaft sehr wichtig, dass sich unsere Business-Software-Branche modernisiert und damit beginnen würde, ihre Produkte so zu entwickeln und anzubieten, wie das in anderen Bereichen längst Standard ist. Wenn das nicht geschieht, dürfen wir uns nicht wundern, wenn irgendwann auch dieser Teil der Software-Anwendungen von ausländischen Unternehmen angeboten wird. Der Swissness-Faktor reicht auf Dauer nicht aus, um fehlende Funktionalität und zu hohe Kosten wettzumachen. 
 
Mein Appell an die Schweizer Business-Software-Anbieter ist immer noch derselbe wie vor bald fünfzehn Jahren: Macht es wie Salesforce.com oder Bexio und bietet Eure Software-as-a-Service an und vergesst dabei vor allem die Web-API nicht. 
 
 

Der Autor

Andreas Von Gunten ist Geschäftsführer von smartKMU und buch & netz, Verleger von dnip.ch, Partner bei Datenschutzpartner AG, Vizeammann in Kölliken, Verwaltungsratspräsident der EWK Energie AG und Mitglied der Digitalen Gesellschaft. Er hat 1998 die Internet-Agentur PARX mitgegründet, die sich später zu einem führenden Salesforce.com Integrator entwickelt hat. Sie wurde 2017 von Persistent Systems übernommen.
 
 

Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 23-1

 

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