Immer wieder liest man, dass Individualsoftware für mobile Geschäftsprozesse viel teurer sei als Standardsoftware. Bei genauer Betrachtung ist meist das Gegenteil der Fall. Das Interview mit Christoph Siegenthaler, Leiter Vertrieb und Administration bei der MFiles GmbH, bringt Licht ins Dunkel der Debatte Standard- versus Individualsoftware.

Herr Siegenthaler, Individualsoftware versus Standardsoftware für mobile Geschäftsprozesse. Was sind Ihre Erfahrungen?
Die Initialkosten bei Individualsoftware sind unbestritten höher. Nur sind allfällige Folgekosten weitaus geringer oder fallen ganz weg. Bei einer Standardlösung ist das Unternehmen auf vorgegebene Funktionalitäten beschränkt, die meist ziemlich einfach gehalten sind. Zusätzliche Anpassungen mittels Customizing generieren dann sehr schnell hohe Zusatzkosten, die nicht eingeplant waren. Zudem müssen sich die Anwender beziehungsweise das Unternehmen an die Standardsoftware anpassen, anstatt umgekehrt. Die Prozesse sind dann nicht optimal und in gewohnter Manier abgebildet, was zusätzlich zu organisatorischen Veränderungen und vor allem mangelnder Akzeptanz bei den Mitarbeitern führt. Mit gravierenden Konsequenzen.

Wie meinen Sie das?
Vor allem Schweizer KMU sind sehr individuell und zeichnen sich durch spezielle Produkte und Services mit dahinterliegenden Prozessen aus. Werden diese nicht 1:1 abgebildet, wird das Tagesgeschäft behindert und führt immer wieder zu Unterbrüchen und Frustrationen. Damit sind kostspielige Fehlläufe und verärgerte Kunden und Mitarbeiter vorprogrammiert. Die Software verfehlt damit ihr Ziel, nämlich mit Mobile Enterprise Lösungen die Effizienz zu steigern, die Kosten zu senken und die Prozesse so reibungslos wie möglich in die Digitalisierung zu überführen. Erst kürzlich kam ein KMU auf uns zu, das vor rund zwei Jahren eine Standardsoftware eingeführt hat und trotz der hohen Investitionen die Lösung jetzt absetzen will. Die Gründe: Die Anpassungen sind viel zu teuer und die Lösung entspricht nicht den Wünschen der Benutzer. Das ist in jeder Hinsicht eine kostspielige Erfahrung.

Dafür trägt ein Unternehmen die Entwicklungskosten alleine und profitiert nicht von Skaleneffekten.
Es ist spannend, welche Argumentationen für den Einsatz von Standardsoftware verwendet werden. Natürlich kann eine Standardsoftware in gewissen Bereichen, in denen die Kunden beinahe identische Prozesse haben, Vorteile bringen. Beispielsweise in der Transportbranche (Track&Trace). Da kann von Skaleneffekten stark profitiert werden. Allerdings werden damit auch die Entwicklungskosten für ihre Konkurrenz mitgetragen. Zudem sind aus meiner Erfahrung keine zwei Firmen in ihrem Verhalten, ihren Prozessen oder ihren Bedürfnissen identisch. Auch die Mitbestimmung an der Weiterentwicklung der Standardsoftware ist meist minimal. Sie vermittelt zwar dem Kunden das Gefühl des «Miteinbeziehens», der Effekt für die Firma selbst ist jedoch marginal – wenn nicht sogar negativ, weil wichtige Funktionen, die aufgrund neuer Bedürfnisse entstanden sind, auf sich warten lassen und nicht in der notwendigen Zeit zur Verfügung stehen. Dann werden die Kosteneinsparungen, die man dank des Skaleneffektes verzeichnen konnte, etwas hart ausgedrückt, vernichtet.

Also ist genau das Gegenteil der Fall. Standardlösungen sind zu teuer?
Nicht in jedem Fall. Sinn machen Lösungen «ab der Stange» bei kleineren Firmen mit bis zu 15 Benutzern, da diese meist flexibel in ihrer Gestaltung von Organisation, Prozessen und Abläufen sind. Auch im erwähnten Track&Trace-Bereich sind Standardlösungen durchaus sinnvoll und auch häufig im Einsatz. Individualentwicklungen richten sich vor allem an Unternehmen, die einzigartig sind in dem was sie tun und wie sie es tun. So arbeiten zum Beispiel Firmen in der Industriebranche zwar im selben Wirtschaftszweig, haben aber grundsätzlich andere Vorgehensweisen oder Ausrichtungen. Hier können Standardanwendungen die individuellen Bedürfnisse einfach nicht abdecken. Ich kenne Firmen, die ganz spezielle Anforderungen an die Lösung stellen, etwa das Hochladen von Betriebssoftware für ihre Anlagen über das mobile Endgerät. Solche spezifischen Anforderungen können nur mit Individualentwicklungen abgedeckt werden. Unabhängig der Kostenfrage.

Was sehen Sie für Stolpersteine beim Einsatz Mobiler Lösungen?
Interessanterweise haben Stolpersteine selten bis nie mit der Software an und für sich zu tun, sondern mit dem Projektmanagement. Die zeitliche und personelle Planung ist hierfür immens wichtig, wird aber leider oft vernachlässigt. Bei Standardsoftware treten teilweise Probleme, die als Stolperstein im Wege stehen können, mit der Kompatibilität der Systemlandschaft auf. Etwa bei der Anbindung an ERP- oder Zeiterfassungssystem oder an die Peripherie; Frontendgerät, mobile Zahlterminals usw. Solche Probleme treten zwar bei Individualentwicklungen nicht auf, jedoch bedarf es in diesem Fall ein gutes und ausgiebiges Testing, um die volle Funktionalität zu gewährleisten. Hierfür werden aus unserer Erfahrung teilweise zu geringe Ressourcen bereitgestellt.

Stichwort Mobile Business Solutions: Was müssen Lösungen zwangsläufig erfüllen und was ist State of the Art?
Ich stelle zuweilen in der Informatik fest, dass hier der Grundsatz «der Kunde ist König» verloren gegangen ist beziehungsweise nicht Vorrang hat. Einige Anbieter wollen das verkaufen, was sie selbst gut finden und gehen zu wenig auf die Bedürfnisse und Anforderungen des Kunden ein. Das irritiert mich immer wieder, denn eine Mobile Lösung muss meines Erachtens so an den Kunden angepasst werden, dass dieser einen maximalen Nutzen – also Kostensenkung, Zeiteinsparungen, Prozessoptimierung usw. – zu einem möglichst tiefen Preis erhält. Stichwort: Optimumsprinzip. Natürlich ist aber der Markt im stetigen Wandel und Themen wie RFID oder NFC werden auch in der Industrie und der Warenwirtschaft interessant. Zudem drängen immer mehr grosse Smartphone-Hersteller auf den Markt der Industrie-Handhelds. Samsung etwa hat mit dem Samsung Galaxy S5 ein Gerät veröffentlicht, das die Schutzklasse IP65 aufweist. Der rasche Fortschritt ist also der «State of the Art».

Wo müssen CIOs und die Geschäftsleitung aufmerksam sein, um die Kosten für Mobile Business Solutions im Griff zu halten?
Da gibt es einige Aspekte, die berücksichtigt werden müssen. Das Wichtigste scheint mir, dass das Projektmanagement beziehungsweise die Projektleitung schon im Vorfeld gut organisiert und aufgestellt wird. Viele Software-Projekte scheitern nicht am Produkt, sondern an einer unklaren Projektstruktur. Anforderungen, die von betroffenen Benutzern gewünscht werden, fliessen oft zu spät oder erst nach Roll-Out der Lösung in ein Projekt mit ein. Dies führt zu Nacharbeiten und ständigen Korrekturen der Lösung. Ausserdem müssen auch Trends und neue Technologien stets im Auge behalten werden.

Die wichtisten Fragen, bei der Evaluation einer Mobile Lösung
Zeit ist Geld. Auch bei einer Software. Wenn ein Benutzer bei Lösung A beim Erfassen eines Auftrages nur einen Klick oder «Fingerwisch» mehr machen muss als bei Software B, dann ist dies Zeit, die bei Software A verloren geht. Nehmen wir zur einfachen Rechnung an, der Kunde hat 100 Benutzer, die täglich 20 Aufträge erfassen. Dann bedeutet der zusätzliche Klick bei Software A einen Zeitverlust von 2‘000 Sekunden – über eine halbe Stunde – pro Tag, mit 250 Arbeitstagen gerechnet also über 125 Stunden pro Jahr!
Zudem ist es enorm wichtig, die eigenen Anforderungen sowie die der potenziellen Benutzer zu evaluieren und zu kennen. Wenn die Bereitschaft, mit einem Notebook oder Tablet zu arbeiten, nicht gegeben ist, macht es keinen Sinn, eines anzuschaffen. Hinzu kommen technische Aspekte bezüglich Anbindung an das ERP-System und/oder bestehende Branchensoftware.

Können sich Unternehmen dank Individualsoftware Wettbewerbsvorteile verschaffen?
Ja, auf alle Fälle. Vor allem mit ganz spezifischen Funktionen, die keine Standard-Software bieten kann. Zum Beispiel ein Unternehmen im Tür- und Tor-Sektor, das via mobile Device Software-Updates auf ihre Anlagen spielt: Die Software für die Steuerung wird vom Server aufs Gerät geholt und dann via Bluetooth auf die Anlage geladen. So ist das Unternehmen schneller und günstiger als Mitbewerber, die hierfür einen Teil der Steuerung ersetzen müssen. Oder ein Hersteller von Industrie-Pumpen. Hier ermöglicht die Individuallösung, dass sich die Pumpe bei einem Fehler automatisch beim Server meldet und ohne menschliches Zutun einen Reparaturauftrag generiert. Der Techniker erhält die Fehlermeldung direkt von der Pumpe und fährt zum Kunden. Dies erhöht sowohl den Kundenservice als auch die Einsatzgeschwindigkeit und ist für den Dienstleister sehr wertvoll. Er muss sich nicht um die Organisation und Disposition eines Technikers kümmern. Es gäbe noch viele Beispiele. Ich denke, wichtig ist, dass sich die Unternehmen auf den Weg machen, eine klare Mobilestrategie definieren und diese mit einer entsprechenden Lösung umsetzen.

MFiles ist dieses Jahr an der topsoft. Ein Besuch lohnt sich: Stand 22e

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