Maschinen- und Anlagenbauern eilt der Ruf voraus, auch die letzte Schraube noch selber fertigen zu können. Ein sympathisches Klischee, welches einen ausgeprägten Ingenieurgeist unterstreicht, der die Grenzen des Machbaren immer weiter nach aussen zu schieben versucht. In der Praxis sind diesem Bestreben Grenzen gesetzt. Oft stellt sich die Frage: make or buy? Eine umfassende Sicht auf die Wertschöpfungs- und Lieferkette hilft, Entscheidungen kostenoptimal zu treffen und den Vergabeprozess zu managen.

Einblick in die Werkshalle der HOFFMANN Maschinen- und Apparatebau GmbH in Lengede/Deutschland (Bild: ams.erp)

Mittelständisch geprägte Industrieausrüster sind weniger denn je in der Lage, jedwede Technologie wirtschaftlich vorzuhalten. Angesichts des sich verschärfenden internationalen Wettbewerbs und der immer weiter ansteigenden Kundenforderungen – nicht zuletzt hinsichtlich kürzerer Lieferfristen – bleibt den Unternehmen keine andere Wahl, als ihre Vergabepraxis kontinuierlich auszubauen. Im Extremfall hat die Zunahme der unternehmensübergreifenden Arbeitsteilung bereits zur Folge, dass Anbieter sich komplett von ihrer Fertigung trennen. Doch auch bei den weniger radikal vorgehenden Marktteilnehmern verfestigt sich der Trend, Bereiche wie z.B. Vertrieb, Engineering, Projektsteuerung, Montage und Service zu stärken und die inhäusige Fertigung auf ein Minimum zu beschränken. Also auf genau das Fertigungs-Know-how, mit dem man im Markt die grösste Differenzierungskraft entfalten kann.

Projektorientiertes ERP

Doch je stärker Investitionsgüterhersteller ihre Fertigungstiefe reduzieren, desto wichtiger wird es für sie, ihre Wertschöpfung durchgängig zu organisieren. Ziel ist es, alle technischen und kaufmännischen Auftragsinformationen in Echtzeit zu erschliessen und auf einer prozessübergreifenden Planungs- und Steuerungsplattform zusammenzuführen. Nur dann sind Einzelfertiger trotz aller Komplexität in der Lage, die Fertigstellungstermine ihrer Kunden einzuhalten und ihre oft kapitalintensiven Projekte erfolgreich abzuschliessen. Die hierzu erforderliche Prozessintegration führt über ein integriert arbeitendes Enterprise-Resource-Planning-System (ERP), welches die Geschäftsabläufe sowohl vertikal als auch horizontal abbildet. Dank dieser Schlüsselposition dient das ERP als zentrale Integrationsdrehscheibe für alle Vertriebs-, Entwicklungs-, Produktions-, Logistik- und Kundenprozesse. Vom Angebot über den Projekt- oder Fertigungsauftrag bis zur Inbetriebnahme und Serviceabwicklung lässt sich das komplexe Projektgeschäft der Einzel-, Auftrags- und Variantenfertiger vollständig abbilden. Inklusive aller Leistungen, die von Partnerunternehmen beziehungsweise Lieferanten erbracht werden.

Termingerechte Organisation der Beschaffungsabläufe

Doch Vorsicht: Um dem Projektgeschäft eines Unikatfertigers gerecht zu werden, muss das ERP – respektive das darin eingebettete Lieferketten-Management – eine ganze Reihe prozessspezifischer Anforderungen erfüllen. Allen voran geht es um die Arbeit mit der wachsenden Stückliste. Speziell Maschinen- und Anlagenbauer nutzen diesen Begriff, um den Bedarf an einer hochflexiblen Stücklistenstruktur zu beschreiben, die es ihnen erlaubt, einzelne Teile und Baugruppen vorab an die Disposition zu geben. Auch wenn das Engineering der kompletten Produktionsanlage zu diesem Zeitpunkt längst noch nicht abgeschlossen ist. Auf diese Weise unterstützt das ERP das Prinzip der konstruktionsbegleitenden Fertigung. Für Arbeitsvorbereitung und Einkauf eine unumgängliche Voraussetzung, um gerade auch Langläufer, wie etwa Motoren, frühzeitig genug zu beschaffen, so dass diese trotz ihrer langen Bestellzeiten rechtzeitig zur Montage vor Ort sind. Nach ihrer Freigabe durch die Konstruktion gelangen die Stücklistendaten an die Arbeitsvorbereitung. Die Organisation der Fremdvergabe erfolgt über auftragsbezogenen Arbeitspläne, deren Aufbau sich an den Bauteilen oder Baugruppen ausrichtet. Dabei können Arbeitsgänge für die komplette Herstellung oder für einzelne Bearbeitungsschritte hinterlegt werden. In gleicher Weise lassen sich Transporte und Arbeitsgänge zur Qualitätssicherung definieren.

Strategische Planung

Die konkrete Make-or-buy-Entscheidung trifft ein regelmässig zusammentretender Führungskreis. Neben der Projektleitung und der Konstruktion gehört insbesondere auch die Arbeitsvorbereitung dazu. Sie informiert ihre eher technisch orientierten Kollegen darüber, welche Entwicklungs- und Fertigungskapazitäten wann zur Verfügung stehen. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Ausmass der aktuell erforderlichen Fremdvergabe projektbezogen definieren. Ebenfalls mit am Tisch sitzt der Einkauf, der die kaufmännische Seite des Lieferketten-Managements organisiert.

Als Diskussions- und Entscheidungsgrundlage eignet sich eine grafische Projektplanung, die zentrale Eckdaten aller Aufträge auswertet. Worauf es bei einer solchen Grobplanung in der Unikatfertigung ankommt, zeigt die Strategische Planung von ams.erp – einer betriebswirtschaftlichen Standardsoftware, die das Beratungs- und Softwarehaus ams.Solution AG speziell für die Einzel-, Auftrags- und Variantenfertigung entwickelt hat. Die in ams.erp integrierte Strategische Planung arbeitet unabhängig von den in der Regel erst sehr viel später vorliegenden Feinplanungsdaten. Stattdessen wird der bereits zum Projektstart erforderliche Ressourcenplan aus der Vorkalkulation des Vertriebs abgeleitet. Hierbei ordnet das ERP die budgetierten Stunden den Ressourcen als grob geplante Stunden zu. Ausgehend von den Endterminen gehen projektbezogene Eckdaten und Meilensteine in die Planung mit ein. Auf dieser Datenbasis lassen sich für den gesamten Auftrag die Termine bestimmen, zu denen die benötigten Bauteile oder -gruppen konstruiert, gefertigt oder beschaffen sein müssen. Sobald das Termingerüst steht, plant die Projektsteuerung die Ressourcen ein. Die Zuordnung der Ressourcen zu den Arbeitsschichten geschieht über Balkendiagramme. Parallel dazu legt die Projektsteuerung fest, welche Bauteile und –gruppen von welchen Zulieferern zu fertigen sind. Beziehungsweise, bis wann die make-or-buy-Entscheidung spätestens gefallen sein muss. Zudem spiegelt der Terminplan wieder, wann die zu fertigenden Teile entweder in der eigenen Montage oder auf der Baustelle zu sein haben.

Da sich die Strategische Planung und das Auftragsmanagement fortgesetzt synchronisieren, werden Engpässe und Überlast-Situationen frühzeitig erkennbar. Einzel-, Auftrags- und Variantenfertiger erhalten eine umfassende Sicht auf den Arbeitsfortschritt in der gesamten Wertschöpfungs- und Lieferkette. Dank dieser Transparenz ist es ihnen möglich, ihre projektspezifischen make-or-buy-Entscheidungen kostenoptimal zu treffen und den kompletten Vergabeprozess in Echtzeit zu managen.

 

 

Verkettete Lieferbeziehungen
Eine weitere Besonderheit des Lieferkettenmanagements in der Projektfertigung besteht darin, dass zahlreiche Fremdvergaben eine ganze Kette von Lieferanten durchlaufen. Dies bedeutet, dass ein fremd vergebener Arbeitsgang nach seiner Fertigstellung direkt an den Folgelieferanten zu transportieren ist, welcher den nächsten Arbeitsschritt ausführt. Ebenso kommt es vor, dass der Fremdfertiger das Bauteil oder die Baugruppe direkt an den Endkunden liefert. Über ams.erp lässt sich der logistische Prozess zwischen dem Besteller, den Lieferanten und dem Endkunden vollständig abbilden. Sobald unterschiedliche Fremdfertiger die einzelnen Arbeitsschritte übernehmen, kann je Arbeitsgang ein Folgelieferant angegeben werden. Dieser lässt sich auch über eine Nachfolgebeziehung im Arbeitsgang automatisch ermitteln. Auf diese Weise werden Lieferantenketten frei strukturierbar. Alternativ zu einem Folgelieferanten kann die Lieferadresse des Kunden angegeben werden.

 

 

Beistellung
Projektfertiger brauchen Wahlfreiheit bei der Beistellung von Teilen und Materialien. Die Option, ihren Zulieferern Material beizustellen, ist für die Auftraggeber extrem wichtig, um die Margen des gesamten Projekts zu sichern. Dies hängt vor allem mit den eher kleinen Betriebsgrössen der Zulieferer zusammen. In vielen Beschaffungsfällen lohnt es sich daher für die Auftraggeber, das Material selbst einzukaufen, da sie höhere Mengen abnehmen und somit eine günstigere Rabattierung erzielen können als ihr Lieferant. In ams.erp lässt sich je Arbeitsschritt präzise festlegen, welche Materialien an den Fremdfertiger zu liefern sind. Hierzu dient eine Übersicht der zugehörigen Stücklistenpositionen, aus der sich die Materialien vergabespezifisch auswählen lassen.

 

Informationsaustausch entlang der Lieferkette
Industrieausrüster müssen unverrückbare Endtermine managen. Daher ist ein permanenter Statusabgleich mit den Zulieferern unerlässlich. In der Regel haben die Partner jedoch unterschiedliche ERP-Systeme im Einsatz. Für den Datenaustausch bieten sich daher internetbasierte EDI-Plattformen an. Branchenstandard für den Maschinen- und Anlagenbau ist das an der RWTH Aachen entwickelte Angebot myOpenFactory. Das Spektrum der austauschbaren Informationen reicht von Angeboten, Bestellungen und Lieferanzeigen über Statusabfragen und Änderungsaufträge bis zu Reklamationen, Rechnungen und Gutschriften. Hierbei wird jeder einzelne Kommunikationsschritt vollständig protokolliert. In ams.erp lassen sich Vorgehensweisen (Workflows) hinterlegen, wie das System mit den übermittelten Informationen umgehen soll. Trifft zum Beispiel die Nachricht über eine Bestellabweichung ein, so weiss das integrierte Auftragsmanagement, wer darüber zu informieren ist, welche Daten aus der Bestellabweichung in die Projektdatenbank übernommen werden und ob aufgrund der Nachricht ERP-Prozesse automatisch angestossen werden sollen.

 

 

Der Autor

Martin Hinrichs
ist Produktmanager und Mitglied der Geschäftsleitung der ams.Solution AG